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Kaschubisches Weihnachtslied

von Werner Bergengruen

 

 

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Originaltext - gesprochen von

Werner Bergengruen

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Als Lied - in einer modernen Interpretation

 

 

Wärst du, Kindchen, im Kaschubenlande,

wärst du, Kindchen, doch bei uns geboren!

Sieh, du hättest nicht auf Heu gelegen,

wärst auf Daunen weich gebettet worden.

 

Nimmer wärst du in den Stall gekommen,

dicht am Ofen stünde warm dein Bettchen,

der Herr Pfarrer käme selbst gelaufen,

dich und deine Mutter zu verehren.

 

Kindchen, wie wir dich gekleidet hätten!

Müsstest eine Schaffellmütze tragen,

blauen Mantel von kaschubischem Tuche,

pelzgefüttert und mit Bänderschleifen.

 

Hätten dir den eig’nen Gurt gegeben,

rote Schuhchen für die kleinen Füsse,

fest und blank mit Nägelchen beschlagen!

Kindchen, wie wir dich gekleidet hätten!

 

Kindchen, wie wir dich gefüttert hätten,

früh am Morgen weisses Brot mit Honig,

frische Butter, wunderweiches Schmorfleisch,

mittags Gerstengrütze, gelbe Tunke,

 

Gänsefleisch und Kuttelfleck mit Ingver,

fette Wurst und goldnen Eierkuchen,

Krug um Krug das starke Bier aus Putzig!

Kindchen, wie wir dich gefüttert hätten!

 

Und wie wir das Herz dir schenken wollten!

Sieh, wir wären alle fromm geworden,

alle Knie würden sich dir beugen,

alle Füsse Himmelswege gehen.

 

Niemals würde eine Scheune brennen,

sonntags nie ein trunkner Schädel bluten, -

wärst du, Kindchen, im Kaschubenlande,

wärst du, Kindchen, doch bei uns geboren!

 

 

 

 

Versuch einer Vertonung; Melodie nach Franz Motzer:

 

 

 

Das „Kaschubische Weihnachtslied“ von Werner Bergengruen entstand im Jahre 1927. Es erschien in einer Anzahl von Zeitungen und Zeitschriften, die heute schwer festzustellen sind. Bergengruen hat es dann in eine Gedichtsammlung aufgenommen, die 1938 erschienen ist. Es wäre möglich, dass der Dichter dieses Gedicht direkt aus dem Kaschubischen übertragen hätte, da er einiger slawischer Sprachen sehr wohl mächtig war; es hat jedoch eine andere Grundlage: Nach Aussage des Verfassers entstand es auf Grund von Erzählungen einer kaschubischen Hausangestellten seiner Eltern, die damals in Danzig lebten.

 

 

Dass das „Kaschubische Weihnachtslied“ bereits früher eine Rolle für das Volk der Kaschuben gespielt hat, ist von Ernst Seefried-Gulgowski in dem Buch „Von einem unbekannten Volke in Deutschland“ (veröffentlicht 1911) dokumentiert. Der hier genannte Text zeigt interessante Bezüge zum späteren Gedicht von Werner Bergengruen. Allerdings wird hier durch den Wortlaut der letzten Strophe dem „Kaschubischen Weihnachtslied“ eine besondere Wirkung gegeben:

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Sei uns gegrüßet geliebter Jesu, unser von Ewigkeit ersehnter Herr.

Aus Kaschubien zum Stalle eilen hurtig wir alle

und bis zur Erde neigen die Stirne - und bis zur Erde neigen die Stirne.

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Warum so arm liegst du in der Krippe und nicht im Bettchen, wie es dir zukommt.

Im Stalle geboren, in der Krippe gebettet.

Warum mit Ochsen und nicht mit Herren - warum mit Ochsen und nicht mit Herren.

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Wärst in Kaschubien du uns geboren, wärest auf Heu von uns nicht gebettet.

Hättest ein Strohsäckchen, darüber ein Bettchen,

und viele Kissen gefüllt mit Daunen - und viele Kissen gefüllt mit Daunen.

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Und auch dein Kleidchen wär nicht so einfach. Aus grauem Fellchen ein reiches Mützchen.

Aus blauem Tuche ein Röckchen und ein grünes Warb-Jöppchen,

dazu ein’ Netzgurt würd’ man dir geben - dazu ein’ Netzgurt würd’ man dir geben

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Wärst in Kaschubien du uns geboren, brauchtest dann niemals Hungersnot leiden.

Zu jeder Tageszeit hättest Gebratenes,

zum Butterbrödchen, wodki ein Gläschen - zum Butterbrödchen, wodki ein Gläschen.

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Zu Mittag hätt’st du Buchweizengrütze, mit gelber Butter reichlich begossen.

Saftiges Gänsefleisch, mit Speck Kartoffelmus,

und Fleck mit Ingwer nicht zu vergessen - und Fleck mit Ingwer nicht zu vergessen.

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Und Wurst mit Rührei gar fett gebraten, darnach der Liebling würd’ wohl geraten.

Zum Trinken gäb man dir Tuchler- oder Berent-Bier.

Könntest dann schwelgen in den Genüssen - könntest dann schwelgen in den Genüssen.

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Zum Abendbrot hätt’st du schmackhafte Flinzen und zarte Würstchen mitsamt Pieroggen.

Wruken mit Hammelfleisch, Erbsen mit Speck gekocht,

und fette Vöglein knusprig gebraten - und fette Vöglein knusprig gebraten.

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Bei uns gibts Wildbrett, Jesu, in Menge.

Wäre allzeit für dich wohl bereitet, ganz junge Rebhühnchen und andre Vögelchen,

auch fette Täubchen und Krammetsvögelchen - auch fette Täubchen und Krammetsvögelchen.

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Dort hast du allzeit Mangel gelitten, hier hätt’st du alles im Überfluß.

Beim Trinken und Essen, Beim Spielen, Erzählen,

wäre beim Amtmann dein Platz am Tische - wäre beim Amtmann dein Platz am Tische.

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Doch dir genügt schon der gute Wille, unsere Wünsche nimmst du als Gaben.

Die Herzen zum Opfer bringen wir dem Schöpfer.

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Verachte uns nicht, obwohl wir arm sind. Verachte uns nicht, obwohl wir arm sind.

 

 

 

 

 

 

Biographie – Werner Bergengruen

1892

         Am 16. September wird Werner Bergengruen im lettischen Riga als 2. Sohn eines Arztes schwedischer Herkunft geboren.

         Obwohl sich seine Familie wegen der Russifizierungspolitik des Zarenreiches zur Ausreise entschließt, bleibt Bergengruen zeitlebens der Landschaft und Kultur seiner Heimat verbunden.

                          

bis 1914

         Bergengruen besucht das Gymnasium in Lübeck, lebt seit 1909 in Marburg und studiert seit 1911 Theologie, Germanistik und Kunstgeschichte an den Universitäten Marburg, München und Berlin, ohne einen Studienabschluss zu erwerben.

 

1914-1918

         Kriegsfreiwilliger auf deutscher Seite im Ersten Weltkrieg.

 

1919

         Bergengruen tritt der Baltischen Landeswehr bei, die in seiner Heimat gegen die Rote Armee kämpft.

         Er heiratet Charlotte Hensel und lebt, von Unterbrechungen abgesehen, als freier Schriftsteller in Berlin.

 

1922

         Leiter der Zeitschrift "Ost-Informationen" in Berlin.

                          

1923

         Bergengruens literarisches Werk beginnt mit der Veröffentlichung des abenteuerlich-romantischen Romans „Das Gesetz des Atum“, den er nicht wieder auflegen ließ.

         1926 folgt der Roman „Das große Alkahest“ (seit 1938 „Der Starost“) , 1930 „Karl der Kühne“, 1931 „Der goldene Griffel“.

         Erster Höhepunkt im Gesamtwerk ist 1935 der verschlüsselte Zeitroman „Der Großtyrann und das Gericht“, durch den er weithin bekannt geworden ist.

 

1925

         Hauptschriftleiter der "Baltischen Blätter".

 

seit 1927

         Lebt er als freier Schriftsteller in Berlin und München.

 

1933-1945

         Dem Nationalsozialismus steht Bergengruen vor allem wegen seiner christlich-humanen Gesinnung ablehnend gegenüber.

         Seine regimekritischen Gedichte des Gedichtzyklus "Der ewige Kaiser" (1937) gehen in Abschriften von Hand zu Hand.

         1937 schließen ihn die Nationalsozialisten wegen seines Romans "Der Großtyrann und das Gericht" (1935) aus der Reichsschrifttumskammer mit der Begründung aus, er sei nicht geeignet, "durch schriftstellerische Veröffentlichungen am Aufbau der deutschen Kultur mitzuarbeiten". Es folgt das Verbot einiger seiner Bücher sowie ein Rundfunk- und Vortragsverbot.

 

1936

         Konversion zum katholischen Glauben.

         Er zieht sich aus Berlin zurück, aus der Stadt, mit der ihn so viel verband, und geht nach Solln in der Nähe von München, wo er dann durch einen Bombenangriff  1942 Wohnung und Habe verliert.

 

1937

         Bergengruens bekannteste Novelle "Die drei Falken" handelt vom eigensüchtigen Streit unter den Erben eines Falkenmeister, wobei der Haupterbe aus Abscheu vor der Gier seiner Geschwister einem wertvollen Falken die Freiheit schenkt.

 

1946

         Lebt zunächst bei Freunden in Zürich, 1948/49 in Rom. Veröffentlichung der Werke "Zauber und Segenssprüche", "Lobgesang" und "Der hohe Sommer".

 

1951

         Auszeichnung mit dem Wilhelm-Raabe-Preis der Stadt Braunschweig.

 

1952

         Veröffentlichung des Romans "Der letzte Rittmeister".

 

1958

         Verleihung der Ehrendoktorwürde der philosophischen Fakultät der Universität München und des Großkreuzes des Bundesverdienstordens: Wenig später wird er als Nachfolger seines verstorbenen Freundes Reinhold Schneider Mitglied des Ordens "pour le mérite"

 

1960

         Veröffentlichung der Erzählungen "Zorn, Zeit und Ewigkeit".

 

1964

         4. September: Werner Bergengruen stirbt in Baden-Baden.

 

 

 

 

 

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