Die Bevölkerung im Kreis Konitz


Originalauszug aus „Statistische Darstellung des Kreises Konitz“ von Wilhelm Fuhrmann

... veröffentlicht 1871


(Hier abgedruckt als Nebenprodukt meiner privaten Heimat- u. Familienforschung)

Persönlicher Hinweis

Der hier abgedruckte Text ist in vollem Umfang identisch mit dem Originaltext aus dem Jahre 1871. Aus heutiger Sicht sind möglicherweise bestimmte Sachverhalte oder Betrachtungen in Frage zu stellen. Ich habe jedoch bewusst diesen Text in seiner Originalform gewählt um einen Zugang zur Thematik nach Wissensstand und Sichtweise der damaligen Zeit - vor mehr als 130 Jahren - zu ermöglichen.

Richard Glischinski

 

Zweiter Abschnitt.

Bevölkerung.

A.  Stand der Bevölkerung.

1.  Abstammung und Nationalität.

(Historische Skizze)

 

Um einen historischen Anknüpfungspunkt zu finden, muß oft über die Grenzen des Kreises hinausgegangen werden.

Derjenigen Gegend, welcher unser Kreis angehört, geschieht in historischer Beziehung zuerst Erwähnung, wo die Rede vom Bernsteinhandel der Phönicier im grauen Alterthume ist. Sie sollen die Schiffahrt bis zur Ostsee ausgedehnt haben und der Bernstein soll der lohnende Handelsartikel gewesen sein.

Etwa 200 v. Chr. haben unsere Gegend nach dem römischen Geschichtsschreiber Tacitus germanische (deutsche) Völkerstämme bewohnt, während jenseits der Weichsel slavische Völkerstämme (Sarmaten), unter diesen namentlich der nördliche Hauptzweig, die Wenden (Venedi), ihre Wohnsitze hatten.

Ob die eigentlichen Gothen den Strich längs der Weichsel von Culm bis Danzig und die Lemonier die Gegend von da bis zur Wipper, Die Rugier Kassubien und Hinterpommern inne gehabt haben, und ob der ebenfalls deutsche Völkerstamm der Aestier auf die Gothen gefolgt ist, ist gleichgültig, weil immer bestätigt wird, daß unsere Gegend, wo sie geschichtlich bekannter wird, von germanischen Völkern bewohnt gewesen ist.

Zur Zeit der Völkerwanderung überschritten die Wenden den Grenzfluß der Weichsel und verdrängten größtentheils die westlich derselben wohnenden deutschen Völkerstämme bis zur Elbe.

Nach Abzug der großen Schaaren, welche während der Völkerwanderung innerhalb des römischen Reiches sich neue Wohnsitze eroberten, blieben hier nur wenige Deutsche zurück, so daß sie dem Vordringen der slavischen Völker von jenseits der Weichsel nicht Widerstand leisten konnten. Aller Wahrscheinlichkeit nach haben diese slavischen Völker seit dem 5. Jahrhundert die verödeten Gegenden, zu denen auch unser Kreisterritorium gehörte, in Besitz genommen und sich hier häuslich niedergelassen.

Sicherer und bestimmter ist die Geschichte in Bezug auf unser Kreisterritorium von da ab, wo dieses zum Gebiete der von den pommerschen Herzögen beherrschten Lande gehört. Zu jener Zeit gehörte unser heutiges Kreisgebiet zu Pommern.

Die Polen bewohnten ursprünglich die weiten Ebenen von den Karpathen bis zur Ostsee. Im Westen bildeten die Sudeten, der Bober und die Oder die Grenze, im Osten der Bug und die untere Weichsel. Derjenige Theil, welcher nordwärts der Warthe und der Netze zwischen der Oder und Weichsel bis an das Meer reichte, hieß Pommern, d. h. die am Meere Wohnenden. Die Persante und Küddow trennten im Allgemeinen das damalige Vor- und Hinterpommern (Ostpommern) von einander, jenes Slavien, dieses Pommerellen genannt. Letzteres erstreckte sich im Süden bis zur Netze, im Osten bis zur Weichsel, im Norden bis zur Ostsee. Indessen lassen sich im Einzelnen diese Grenzen genau schwer bestimmen, weil sie zu verschiedenen Zeiten eine verschiedene Richtung gehabt haben.

Pommerellen theilte sich in das Land Kassubien und das Grenzland Kraina. Oft auch wurde ganz Pommerellen mit dem Namen Kassubien belegt. Daher kommt es, daß letzteres, obwohl es niemals eigene Herzöge, wohl aber „Herren in Kassubien“ gehabt hat, ausnahmsweise Herzogthum genannt wurde, und wenn dies geschah, war jedenfalls das Herzogthum Pommerellen gemeint, also Kassubien mit Inbegriff des Grenzlandes Kraina. Wo aber Kassubien als ein Theil von Pommerellen genannt wird, werden die Grenzen zu den verschiedenen Zeiten verschieden angegeben. Bald wird das Küstenland zwischen der Wipper und Weichsel nördlich, der Kamionka und Dobrinka südlich Kassubien genannt, bald der Bezirk um Neustettin und Belgard mit der Hauptstadt Kolberg. In späterer und neuerer Zeit wird diejenige Landschaft so genannt, welche ziemlich genau begrenzt wird von den Städten Stolp und Danzig im Norden, durch die Konitz-Bütower Chaussee im Westen, durch die Berlin-Königsberger Chaussee im Osten und durch eine im Kreise von Schwornigatz, Menczikal und Rittel gebildete Linie im Süden.

Während also in früheren Zeiten die südliche Grenze von Kassubien bis zu dem Kamionka- und Dobrinkafluß (Landeck, Pr. Friedland und Camin) ging und die Stadt Konitz mit einschloß, lief die südliche Grenze von Kassubien später nördlich von Konitz. So ist es heute noch, obwohl wir heute politisch kein Kassubien mehr haben, wohl aber einen Landstrich, der in diesen letzteren Grenzen noch von Kassuben bewohnt wird.

Boleslav IV. von Slavien nannte sich, nachdem er das Land zwischen der Wipper und der Grabow erobert hatte, zuerst Herzog der Wenden und Kassuben, und seitdem Westpreußen mit dem Preußischen Staate vereinigt ist, führen die Könige von Preußen denselben Titel.

Die Bezeichnung „Kassubien, Kassuben“ leitet man bald von dem Worte „kazha, kazka“ (Leder, Pelz – kazebi, Pelzträger), bald von „kasza“ (Grütze), bald auch von „kaszub“ (Wassertümpel) her.

Wenn nun auch die Kassuben sich in der Bereitung und in dem Genuß von Grütze ausgezeichnet haben mögen und wenn sie auch heute noch in Bezug auf Bekleidung Pelzwerk lieben, so scheint die letzte Ableitung von „kaszub“ immer noch die entsprechendste zu sein; denn bekanntlich ist Kassubien an Gewässern sehr reich, und schon in frühern Zeiten, wie noch jetzt werden die Kassuben von den Deutschen Wasserpolaken genannt, und der kassubische Adel führt in seinem Wappen einen silbernen Fischschwanz.

Die Polen selbst leiten den Namen von „kasza“ (Grütze) her.

Ueber die Abstammung, Sprache und Lebensart der Kassuben vgl. Abschnitt II A. 4.

Die Theilung des Pommerlandes in Vorpommern und Hinterpommern (auch Ost- oder Oberpommern genannt) erfolgte bei dem Tode des ersten pommerschen Fürsten Swantibor (1107). Die beiden jüngern Brüder des ebengenannten Fürsten erhielten Hinterpommern, oder wie es jetzt genannt wurde, Pommerellen. So entstand die jüngere Linie der pommerschen Herzöge, die der Herzöge von Pommerellen.  1108 drangen die Polen über die Grenze Pommerellens, waren aber ohnmächtig gegen den Herzog Sambor I. von Pommerellen. Auf Sambor I. folgte Mestwin I., nach dessen Tode erhielt Pommerellen vier Fürsten (1220): Swantopolk in Danzig, Wratislaw in Schwetz, Sambor II. in Lübschau (seit 1252 in Dirschau) und Ratibor in Belgard.

Die vornehmsten Beamten in den vier Fürstenthümern waren die Palatine. Unter ihnen standen zunächst die Kastellane und unter diesen, theils als Hof-, theils als Burgrichter der Schenk und Unterschenk, sowie der Truchseß, der Kämmerer, der Treßler, der Tribun und der Fenner (Fähndrich).

Zu dieser Zeit gehörte die Burg Lokman am Müskendorfer See zur Landschaft Zieten (Scitno), die außerdem noch die Burgen Kramsk, Bobolze, Deprske und eine ungenannte bei Landek umfaßte. Zur Landschaft Reetz (Radzons) gehörten die Burgen Kensau, Lossburg, Komierowo, Camin, Zempelburg, Lindebuden, Gr. Wöllnitz und Cekzyn. – Das Schloß Wissoka gehörte zur Burg Stargardt.

Der Herzog Swantopolk (1220 – 1266) hat durch seine langen Kämpfe gegen den deutschen Orden in Preußen sich einen Namen gemacht.

Ihm folgte sein ältester Sohn Mestwin II. (1266 – 1295). Dieser setzte noch bei Lebzeiten seines Vaters seinen Vetter Barnim, den alleinigen Besitzer von Vorpommern, zum Erben alles Dessen ein, was er einst von seinem Vater und seinem Bruder erben würde. Nach dem Tode seines Vaters entriß er seinem Bruder Wratislaw dessen Erbtheil Danzig, schenkte es den Markgrafen von Brandenburg und erkannte deren Lehnsoberhoheit über alle seine Länder an, wofür diese ihn in dem Kriege gegen seinen Bruder unterstützten. Als Wratislaw 1272 gestorben und Mestwin II. alleiniger Herr von Pommerellen geworden war, forderte er von den Markgrafen Danzig zurück, das er mit Hilfe seines Vetters Boleslaw von Polen sich auch wieder unterwarf und die Markgrafen aus Pommern ganz verdrängte. 1284 ernannte er den damaligen Herzog Przemislaw von Polen, den Neffen des Boleslaw trotz des Protestes der Markgrafen zu seinem Erben, der sich, als Mestwin II. 1295 starb, auch unverzüglich in den Besitz des Landes setzte und sich seitdem König von Polen und Herzog von Pommern nannte.

Mit Mestwin II. endete die jüngere Linie der Pommerschen Herzöge.

Die Markgrafen forderten Pommerellen als eröffnetes Lehen zurück, überfielen 1296 den Przemislaw und tödteten ihn. Aber Wladislaw Loktiek, Herzog von Cujavien, den darauf die Polen zum Könige wählten, sowie nach dieses Absetzung König Wentzel III. behaupteten Pommerellen. Wentzel III. wurde 1306 ermordet und nach ihm wieder Wladislaw Loktiek auf den polnischen Thron berufen. Von ihm wurde der schon durch Wentzel III. zum Statthalter von Pommerellen eingesetzte Peter Schwentze bestätigt. Mit diesem unterhandelten die Markgrafen insgeheim wegen Wiedererlangung Pommerellens. Wladislaw aber wurde hiervon in Kenntniß gesetzt und führte Peter Schwentze mit seinem Vater 1308 gefangen nach Krakau, gab sie indessen wieder frei, als die beiden Brüder des Schwentze sich als Bürgen stellten. Diese entflohen und die drei Brüder schlossen sich nun offen den Markgrafen an, welche mit einem großen Heere vor Danzig erschienen und sich der Stadt bemächtigten. Wladislaus rief den deutschen Orden zu Hilfe, der die Stadt gewaltsam nahm, bald darauf auch die Polen aus der Stadt verdrängte und andere feste Punkte in Besitz nahm.

Um diese Eroberung gegen den Markgrafen Waldemar zu schützen, kaufte der Orden diesem seine Ansprüche auf Pommerellen mit Ausnahme der Länder zwischen Leba und Grabow 1308 resp. 1310 für 10000 Mark Silbers ab. Die andern Prätendenten und der Kaiser stimmten zu. Die Grenzen wurden 1313 genau bestimmt und umfaßten auch unser heutiges Kreisgebiet, das nun mit dem größten Theil von Pommerellen unter die Herrschaft des deutschen Ordens kam.

Unter dem deutschen Orden gehörte Konitz zum Schlochauer Ordensgebiet (Comthurei), welches gebildet wurde außer der Stadt Schlochau, (1312 durch den Orden von einem Grafen Ponitz erkauft), von der festen Stadt Konitz, ferner den Städten Baldenburg und Landek mit Pflegern, und von Hammerstein und Pr. Friedland mit Voigten.

Das Gebiet von Tuchel, bald von Comthuren, bald von Pflegern verwaltet, bildete eine eigene Comthurei. Schloß Tuchel wurde um 1300 von den Söhnen des Palatin Schwentze erbaut und um 1335 an den Orden abgetreten.

Wo die Geschichte während der 153jährigen Ordensherrschaft Bemerkenswerthes und Wichtiges für unsern Kreis darbietet, handelt es sich fast immer um die Stadt Konitz selbst, als des einzigen befestigten Punktes in demselben. Unter dem deutschen Orden wurde die bereits erwähnte Burg Lokman am Müskendorfer See, die übrigens von den Wenden erbaut ist, für die Schlochauer Comthurei zum Sattelhof eingerichtet. Diese Burg war aber unabhängig vom Schlochauschen Hause. Der sg. Burgwald bei Hülfe und der in der Nähe im Konitzer Stadtwald belegene Schloßberg bezeichnen heute noch durch ihre erkennbaren Ringwälle und Baustätten die Punkte ihrer Vergangenheit.

Der Orden machte nach und nach bedeutende Eroberungen und gelangte zu großen Reichthümern. Den höchsten Gipfel seiner Macht hatte er zu Ende des 14. und zu Anfang des 15. Jahrhunderts erstiegen, wo sich seine Besitzungen von der Oder bis zum finnischen Meerbusen erstreckten. Allein in der Folge brachten ihn Schwelgerei, Verschwendung und Zwiespalt allmälig in Verfall, und die Regierung wurde bald so drückend, daß sich nach der unglücklichen Schlacht bei Tannenberg (1410), welche entscheidend für den Untergang des Ordens war, im Jahre 1440 der Landadel und die Städte Pommerellens zu einem Bunde gegen den deutschen Orden zu Marienwerder vereinigten, angeblich um ihre Rechte und Freiheiten aufrecht zu erhalten. Alle Versuche, die Streitigkeiten duch ein Landgericht zu schlichten, blieben ebenso erfolglos, als die Anstrengungen des Ordens, den Bund aufzulösen. Konitz, das anfänglich dem Städtebunde beigetreten war, trat zu Elbing aus demselben aus, indem sein Abgeordneter das Wachssiegel von der Urkunde abriß. Im Jahre 1453 kam es zum offenen Kriege und der Bund rief den König Casimir IV. von Polen herbei. Allein noch einmal bewies der Orden seine Kraft. Komthur Heinrich Reuss v. Plauen schlug 1454 am 16. September das sechsmal stärkere Heer der Polen bei Konitz und Tausende von den Polen kamen in einem ganz in der Nähe der Stadt belegenen Wasserbruche um, das davon noch heute den Namen „Heerbruch“ führt.

Doch mangelte es dem Orden an Geld; die Söldner forderten Zahlung, die ihnen trotz schwerer Opfer nicht gewährt werden konnte. Daher nahmen sie die Marienburg ein und überlieferten sie (1457) dem Könige Casimir IV. von Polen.

Aller Habe beraubt, verließ in demselben Jahre der Hochmeister Ludwig v. Erlichshausen die Marienburg und gelangte mit Mühe nach Konitz, und von hier unter noch größerer Gefahr nach Königsberg.

Seitdem hat kein Hochmeister mehr auf der Marienburg residiert.

Der Krieg wurde noch ein Jahrzehnt mit abwechselndem Glücke fortgesetzt und Konitz während dieser Zeit noch zweimal (1461 und 1465) von den Polen belagert, aber nicht genommen.

Als endlich auf beiden Seiten der Wunsch nach Frieden sich regte, kam derselbe am 19. October 1466 zu Thorn zu Stande. Pommerellen wurde durch denselben an Polen abgetreten und gehörte von jetzt ab zu Polnisch-Preußen im Gegensatz zu Alt-Preußen, welches dem Orden unter polnischer Lehnshoheit verblieb. Zu Polnisch-Preußen gehörte von da ab alles Land im Westen der Weichsel, auf der Ostseite derselben aber das Kulmerland mit Löbau und Michelau, die Gebiete von Stuhm, Christburg, Marienburg, Elbing und Tolkemit, sowie das ganze Bisthum der Bischöfe von Ermland.

Im Thorner „ewigen Frieden“ wurde ausdrücklich bestimmt, daß Polnisch-Preußen als ein selbstständiges Land bestehen bleiben und nur in eine Personalunion mit der Krone Polen treten sollte.

Der polnische Reichstag zu Lublin (1569) hob die Personalunion auf. Durch die Beschlüsse  dieses Reichstages wurde Polnisch-Preußen ein integrirender Bestandtheil des polnischen Reichs, und die Personalunion in eine Realunion umgestaltet, und die im Thorner Frieden garantirte Ewigkeit fand hiermit schon so bald ihr zeitiges Ende. *) Westpreußen, und also auch unser Kreisgebiet gehörte nach den maßgebenden Bestimmungen des Thorner Friedens nicht zu dem frühern polnischen Reiche. Das Gegentheil wird selbst der Nationalpole nicht behaupten können, ohne sich in seinen politischen Bestrebungen zu widersprechen!

Unter der polnischen Herrschaft über Pommerellen ist unser heutiges Kreisgebiet, und namentlich die Stadt Konitz oft der Schauplatz kriegerischer Begebenheiten gewesen.

Vor Allem war es Schweden, das mit Polen bis in das 18. Jahrhundert hinein in Kriege verwickelt war. Noch heute spricht man hier von den Schwedenkriegen und zeigt Schwedenschanzen und Schwedengräber.

Im Juli 1655 drang ein schwedisches Heer durch Pommern und die Neumark nach Polen ein, wohin der Schwedenkönig Carl Gustav auf demselben Wege folgte. Eine Heeresabtheilung unter des Obersten Heinrich Horn Befehl erschien vor Konitz und nahm die Stadt trotz tapferer Gegenwehr der Bürger ein. Im folgenden Jahre kamen die Polen, bei denen der König selbst zugegen war, vor die Stadt, die von den Schweden besetzt war, und zwangen die Schweden zur Uebergabe derselben. Als aber bald darauf der schwedische General Paul Würtz  aus Pommern nach Preußen zog, wurde Konitz durch die Schweden von Neuem belagert, die Stadt von der Bürgerschaft aber so tapfer vertheidigt, daß Würtz sich derselben nicht bemächtigen konnte. Carl Gustav mußte selber mit mehr Heeresmacht kommen, um die Stadt, nachdem am Mühlenthor in die Stadtmauer eine Oeffnung geschossen war, einzunehmen und zu plündern. Noch im selben Jahr verließen die Schweden mit reicher Beute freiwillig die Stadt, die gleich darauf wieder von den Polen besetzt wurde. Die Polen zogen 1658 ab und im Januar 1659 fanden sich die Schweden abermals ein und verlangten von der Stadt freien Durchzug und Reiterzehrung. Da ihnen ihre Forderung verweigert wurde, erstürmten sie die Stadt und nahmen, was von der vorigen Plünderung noch übrig geblieben war.

Der Frieden zu Oliva (3. Mai 1660) beendigte die schwedisch-polnischen Kriege.

Später (1707) wurde Konitz noch einmal von russischen Soldaten angegriffen, die sich aber wegen der tapfern Gegenwehr der Bürger zurückziehen mußten. Dies veranlaßte den russischen Oberst Schulz mit einer größern Heeresabtheilung in die Stadt zu rücken und die Bürgerhäuser nebst Speicher zwei Wochen lang zu plündern.

Durch die schwedisch-polnischen Kriege erhielt Konitz eine Schuldenlast von 80,000 Fl. Preuß.

Im Jahre 1772 fiel Pommerellen mit ganz Polnisch-Preußen in Folge der ersten Theilung Polens unter Friedrich dem Großen an Preußen und wurde mit dem preußischen Staate vereinigt. Nur Danzig und Thorn fielen erst 1793 an Preußen. Der Theil Pommerellens, welcher zu Polnisch-Preußen gehört hatte, wurde zu Westpreußen geschlagen und gehört als ein Theil der Provinz Preußen noch heute dem preußischen Staate und seit 1866 dem norddeutschen Bunde an.

Von 1772 ab nannte sich Friedrich der Große „König von Preußen“, während sich die preußischen Könige seit 1701, wo Westpreußen noch zu Polen gehörte, um nicht gegen Polen zu verstoßen, „König in Preußen“ nannten.

Seit 1772 kämpft das deutsche Element gegen die westlichen Vorposten des Slaventhums neben Böhmen und der Provinz Posen in Westpreußen an.

Was nun die Abstammung, beziehungsweise die Nationalität der heutigen Bewohner unsres Kreises betrifft, so ist dieselbe theils slavisch, theils deutsch.

Der slavischen Nationalität gehören zunächst die Kassuben an. Sie sind Nachkommen der Wenden, haben sich aber während der polnischen Herrschaft über Pommerellen mit Polen und namentlich seit 1772 mit Deutschen vermischt. Sie bewohnen den ganzen nördlichen Theil des Kreises. Mit den Wenden haben sie den gedrungenen, kräftigen Körperbau gemein, und der Kassubenschädel ist wegen seiner Festigkeit sprichwörtlich geworden. An Ordnungsliebe, Gastfreundschaft und Reinlichkeit stehen die Kassuben den Wenden nach. In der Kleidung nähern sie sich den Wenden; denn sie tragen wie diese und wie übrigens auch die Polen Röcke mit besonderem Schnitt, in der Regel von selbstgefertigtem wollenen Zeuge (Warp). Eine auffallende Eigenthümlichkeit besteht bei ihnen darin, daß der größte Theil im Sommer sowohl, wie im Winter abweichend geformte, aber practisch eingerichtete Pelzmützen trägt.

Im Uebrigen sind sie ein treuherziges, gefälliges Volk, devot gegen Höhere, die sie durch Kniebeugen und Umfassen des Knie’s derselben begrüßen und ehren. Sie führen, seitdem sie vor längerer Zeit in großer Anzahl dem Branntweingenuß entsagt haben, ein mäßiges Leben, und ihre größte Leidenschaft ist das Tabackschnupfen; denn gern erweisen sie für eine dargereichte Priese jede kleine Gefälligkeit.

Die Kassuben wohnen in Bohlenhäusern, die oft zugleich Stallungen für Pferde, Kühe, Schafe und Federvieh enthalten. Die Stuben haben in der Regel Lehmflure und dienen nicht selten auch dem Klein- und Jungvieh zum Aufenthalt. Ueberhaupt stehen sie im Allgemeinen noch auf einer ziemlich tiefen Stufe der Bildung.

Es versteht sich jedoch von selbst, daß dies Alles nur in Bezug auf die gewöhnlichen Kassuben gilt; denn es giebt unter ihnen schon Familien genug, die den deutschen Bewohnern, was Intelligenz, gesellige und geistige Bildung anbetrifft, gleichkommen, und die Schulen, die Geistlichen, sowie die unter ihnen lebenden polnischen und deutschen Gutsbesitzer bereiten auch den gewöhnlichen Kassuben immer mehr zur geistigen Cultur vor.

Die Kassuben ernähren sich vom Ackerbau, Fischfang und von Handarbeit. Ihr Ackerbau ist jedoch nicht weit her und kann es auch nicht sein, weil sie gerade die sandigen Bodenstellen bewohnen und oft ein Besitzer von mehreren hundert Morgen seine Ackerbaugeschäfte mit einem Pferde betreibt. Sie haben einen eigenen Schlag von Pferden, klein, gedrungen und von auffallender Ausdauer.

Zum Fischfang geben die vielen Landsee’n und fließenden Gewässer Gelegenheit, die gerade der nördliche Theil des Kreises aufzuweisen hat. Daher bestehen die Speisen der Kassuben vorzugsweise aus Fischen, mit denen sie auch Enten, Gänse und selbst Schweine füttern.

Die Kassuben sind die ältesten Bewohner des Kreises, in der Cultur aber auch nach allen Seiten hin am weitesten zurückgeblieben. Unzweifelhaft ist daran der Umstand Schuld, daß der von ihnen bewohnte Sandboden ihnen nicht die materiellen Mittel zur Hebung ihrer Lebensverhältnisse gewährt.

 

Ferner sind slavischer Abstammung resp. polnischer Nationalität die Polen, welche in Tuchel und in der Umgegend wohnen. Sie haben sich dort meistens unter der polnischen Herrschaft über Pommerellen niedergelassen und ihre Nationalität im Ganzen bewahrt. Auch in Kassubien wohnen einzelne Polen zerstreut und haben hier mit den deutschen Besitzern die besten Güter in Besitz.

Zu den Polen zu zählen sind die polnischen Bewohner des südöstlichen Kreistheils. Sie werden gewöhnlich Borowiaken (von bor, der Wald) genannt, weil sie meistens im Walde (Tuchler Haide) wohnen, oder doch Wohnstätten inne haben, die noch vor nicht zu langer Zeit mit Wald bestanden waren.

Im Ganzen unterscheiden sich die Borowiaken, was geistiges Leben und materielle Lebensweise anbetrifft, nicht viel von den Kassuben, und was wir oben von diesen gesagt haben, läßt sich fast überall auf sie anwenden.

 

Der übrige Theil des Kreises wird ganz vorzugsweise von Deutschen bewohnt. Ihr Ursprung ist wohl nirgend auf die früher hier ansässigen alten deutschen Völkerstämme zurückzuführen, welche vor den Wenden unsere Gegenden bewohnten; vielmehr müssen sie als eingewanderte betrachtet werden.

Es ist geschichtlich bekannt, daß die Colonisation des Wendenlandes in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in großer Ausdehnung betrieben wurde und daß niederdeutsche und niederländische Ansiedler zahlreich in das Wendenland zogen und die zugänglichsten und fruchtbarsten Landstriche besetzten, so daß oft meilenweit kein wendisches Dorf mehr zu finden war.

Die deutsche Einwanderung setzte sich in größerem Maßstabe unter der Herrschaft des deutschen Ordens fort, und selbst noch, als Pommerellen schon an Polen gefallen war, ließen sich im Laufe der Zeit hier viele deutsche Familien aus den benachbarten Provinzen nieder. Gelegenheit dazu bot unter Anderm auch die Entvölkerung, die durch die Pest herbeigeführt wurde, welche vom Jahre 1352 bis 1711 nicht weniger als neun Mal unsere Gegend heimsuchte und unter der Bevölkerung so aufräumte, daß z. B. im Jahre 1657 in Konitz allein, das damals ungefähr 5000 Einwohner zählte, in der Zeit von Pfingsten bis zum Advent dritthalbtausend Menschen starben.

Unter den deutschen Kreisbewohnern müssen besonders erwähnt werden die sg. Koschneider (Kuhschneider), Koschnewer. Sie bewohnen südlich von Konitz einen sehr fruchtbaren Landstrich und haben fast ausschließlich die Ortschaften Frankenhagen, Granau, Petztin, Osterwik, Lichnau, Schlagenthin, Dt. Cekzin und Abrau inne.

Ueber ihre Abstammung resp. die Zeit ihrer Einwanderung läßt sich Bestimmtes und Zuverlässiges nicht angeben, ebenso wenig weiß man mit Bestimmtheit, woher die Benennung „Koschneider“ kommt. In letzter Beziehung geben Einige von ihnen an, daß sie zur Zeit der Belagerung von Wien durch die Türken (1683) unter dem Polenkönig Sobieski ein eigenes Corps Sensenträger (kosynier) gebildet haben, und daher ihre Benennung komme. Andere wollen, daß ein Tuchler Capitaneus Namens Kochschneider (ein Westphale) im 15. Jahrhundert deutsche Familien aus Westphalen zur Uebersiedelung nach dem von ihnen jetzt bewohnten Landstriche bewogen habe und sie von ihm Kochschneidersche Einwanderer oder kurzweg Kochschneider – Koschneider genannt wurden.

In Bezug auf die Abstammung der Koschneider hat die letztere Herleitung viel für sich, weil, wie bereits oben erwähnt, in der That Ansiedler aus den Niederlanden und Friesland, was hier wohl gleichbedeutend mit Westphalen ist, hier eingewandert sind, und weil nach dem heutigen Westphalen sich viele Ortsnamen (Osterwik, Granau oder Gronau, Lichtnau) und ebenso viele Familiennamen (Gatz oder Katz, Semrau [plattdeutsch Simrok], Behnke, Nelke, Rohde) wiederfinden! Darum scheint eine weitere Herleitung des Namens Koschneider (Koschnewer) von Kosznewszy (in einem Nomadenlager – Kosz – wohnende Leute) nicht allein viel für sich zu haben, sondern vielleicht die richtigste zu sein; denn, wie oben erwähnt, sind mehrere Ortsnamen aus Westphalen herübergenommen, also von diesen Einwandrern neu gegründet, und der neuen Gründung dieser Ortschaften konnte oder mußte wohl ein wirthschaftliches Wohnen nach Art der Nomaden voraufgehen. Wenn nach den vorhandenen geschichtlichen Nachrichten die Einwanderung der Niederländer schon und hauptsächlich in der letzten Hälfte des 12. Jahrhunderts stattgefunden hat, so läßt sich annehmen, daß die Einwanderungen in späterer Zeit fortgesetzt sind, und diese Annahme muß man aufrecht erhalten, um die niederländische resp. westphälische Abstammung der Koschneider zu rechtfertigen, die aller Wahrscheinlichkeit nach erst im 15. Jahrhundert sich hier niedergelassen haben. Der Name Rhode-Granau kommt in Urkunden zuerst im 15. Jahrhundert vor.

Auch die Vorliebe, ihren Erwerb umherziehend zu suchen, haben die Koschneider mit den Westphalen gemein. Es ist nicht lange her, als eine verhältnißmäßig bedeutende Anzahl der Koschneider sich von Frachtfuhrwerkerei ernährte und dabei die Landwirthschaft vernachlässigte. Heute aber haben sie im richtig verstandenen eigenen Interesse das Frachtfuhrwesen fast ganz aufgegeben und sich der Landwirthschaft wieder hingegeben. Diese Aenderung in ihren Erwerbs- und Beschäftigungsverhältnissen hat sie fast durchgängig zum Wohlstande geführt.

Die Koschneider sind kräftige gesunde Menschen, und stehen in Bezug auf Intelligenz, sowie geistige Befähigung und Bildung den übrigen deutschen Bewohnern des Kreises nicht nach.

Als etwas ihnen Eigenthümliches beschuldigt man sie eines zu zähen Festhaltens an dem Hergebrachten, der häuslichen Abgeschlossenheit und des Mangels an Gastfreundschaft, - dies aber wohl mehr mit Unrecht, als mit Recht.

Die übrigen Deutschen bewohnen den südwestlichen, an den Schlochauer Kreis grenzenden Theil unseres Kreises, so daß die Deutschen überhaupt vom südlichen Theile des Kreises die westliche Hälfte ganz einnehmen und von dem nördlichen Theile des Kreises noch ein südwestliches Stück.

Die Stadt Konitz selbst ist ganz deutsch, die Stadt Tuchel von Deutschen und Polen bewohnt. Zu den beiden Nationalitäten liefern in Tuchel die Juden ein bedeutendes Contingent.

Will man auf der Kreiskarte die Wohnplätze und die Verbreitung der nach Abstammung und Nationalität verschiedenen Kreisbewohner einzeichnen, so wird man folgende Grenzlinien zu zeichnen haben:

1.           Kassubien wird gebildet durch denjenigen Landstrich, welcher von der westlichen nach der östlichen Kreisgrenze hin nördlich liegt von Schwornigatz, Menczikal, Rittel und der Berlin-Königsberger Chaussee, die genannten Ortschaften mit eingerechnet;

2.           Der von den Hochpolen bewohnte Theil des Kreises wird von der Stadt Tuchel und der nächsten Umgebung gebildet, und neben diesen bewohnen

3.           Die Borowiaken den südöstlichen Kreistheil und gerade denjenigen Theil des Kreises, welcher hauptsächlich der Tuchler Haide angehört **).

4.           Die Deutschen dagegen haben den Kreistheil inne, welcher begrenzt wird im Westen vom Schlochauer Kreise, im Süden vom Bromberger Kreise, innerhalb unseres Kreises selbst aber von den Ortschaften Pillamühle (zu Zandersdorf gehörig), Zarczecz (jetzt Karlsbraa), Wodziwodda, Reetz, Sehlen, Jehlenz, Camnitz und Prust, diese Ortschaften mit eingerechnet.

Diese Grenzlinien gelten selbstredend nur im Allgemeinen, weil sich die einzelnen Nationalitäten in dieser Beziehung nicht von einander so genau scheiden, daß nicht auf dieser oder jener Seite und in der Nähe der so gezogenen Grenze Mischungen vorkämen.

Zu den eingewanderten Kreisbewohnern gehören noch die Juden. sie nehmen im Kreise für sich keinen geschlossenen Landstrich ein, wohnen vielmehr in allen Theilen des Kreises verstreut. Ihre Einwanderung ist zugleich mit der Einwanderung der Deutschen erfolgt und geht der Zeit nach auf die Epochen dieser zurück. Als ihre Nationalität keinen selbständigen Halt mehr gewinnen konnte, schlossen sie sich den Deutschen an, folgten ihnen gern und mußten ihnen in eigenem Interesse selbst ungern folgen. Trotz ihres ganz gelösten politischen Zusammenhanges, haben sie die Eigenthümlichkeiten ihrer Nationalität im Ganzen und Großen bewahrt. Auch heute noch schließen sie sich in ihren Lebesbeziehungen am liebsten den Deutschen an, wissen sich aber auch nichtdeutschen Elementen in ihrer nationalen Verlassenheit zu fügen.

In den Städten betreiben die Juden fast ausschließlich kaufmännische Geschäfte und Schankwirthschaft, auf dem platten Lande Handel und Gastwirthschaft.

Wie die nachstehende Tabelle zeigt, ist das jüdische Element in der Stadt Tuchel am stärksten vertreten, die allein mehr jüdische Einwohner zählt, als das ganze platte Land.

 

 

*)    Im Thorner Frieden wurde im Wesentlichen bestimmt, daß

1.        in staatlicher Beziehung die Beschlüsse des polnischen Reichstages in Bezug auf Polnisch-Preußen (Westpreußen) erst nach der von den preußischen Landtagen erfolgten Annahme Giltigkeit haben sollten, und daß die innern Angelegenheiten der „Provinz“ auf den preußischen Landtagen vom Könige selbst, oder unter seinem directen Einflusse zu ordnen seien; ferner, daß die Großwürden- und Reichsrathsstellen (Bischöfe, Woiwoden und Amtshauptleute) nur vom Könige an preußische Eingeborne verliehen werden sollten; und daß

2.        in privatrechtlicher Hinsicht die Bewohner von Polnisch-Preußen vor den preußischen Behörden und von preußischen Richtern Urtel und Recht zu nehmen hätten.
   Aber schon vor dem Lubliner Reichstage wurden die Staatsangelegenheiten der Provinz direct auf den polnischen Reichstagen verhandelt, und das polnische Element begann nach dem Lubliner Reichstage in jeder Richtung als das begünstigtigere immer mehr Uebermacht und Ausdehnung zu nehmen. Die polnische Sprache wurde zur Landessprache erhoben, die deutsche und lateinische aber noch nebenbei gestattet.
   Zwar blieben die preußischen Landtage auch nach dem Lubliner Reichstage immer bestehen und die einzelnen Städte in Polnisch-Preußen wurden durch sg. königl. Ausschreiben zu denselben berufen, aber – wie ein Geschichtsschreiber bemerkt – „mehr aus der Absicht, das, was daselbst beschlossen worden, anzunehmen, als selber Schlüsse zu machen.“
   Neben den Landtagen erhielt die Stadt Konitz in der zu Mewe 1682 gehaltenen Zusammenkunft der kleinen preußischen Städte die Berechtigung andre, an den Grenzen der pommerellischen Woiwodschaft liegende kleine Städte, Pr. Friedland, Schlochau, Hammerstein, Baldenburg und Tuchel (Tauchel) zusammen zu rufen und sich mit denselben in Landes- und andern öffentlichen Angelegenheiten zu besprechen, und in der zu Marienburg 1702 abgehaltenen Versammlung der pommerellischen kleinen Städte wurde Konitz neben Dirschau und Pr. Stargardt zur dritten sg. plenipotentirten und ausschreibenden Stadt der pommerellischen Woiwodschaft ernannt und ihr in dieser Eigenschaft die vorhin genannten fünf Städte untergeordnet.

 

 

**)  Die Tucheler Haide hat niemals bestimmte, noch weniger politische Grenzen gehabt, vielmehr ist dem Sprachgebrauch nach die große sandige, mit Kiefern bewachsene Fläche, die sich im Allgemeinen zwischen der Braa und dem Schwarzwasser nördlich bis in die Grenzen des Pr. Stargardter und Berenter Kreises und südlich in die des Schwetzer Kreises hinein erstreckt, so genannt und als ihre territoriale Ausdehnung angesehen worden.

     Wo die Tucheler Haide von Westen her auf die fruchtbaren Landstriche zwischen Konitz und Tuchel ihren Anfang nimmt, liegt die zum Kreise gehörige Stadt Tuchel, nach welcher sie den Namen führt.

     Der Flächencomplex der Tucheler Haide kann auf 50 bis 60 Quadratmeilen angenommen werden.

     Sie ist und wird mit Recht eine Haide genannt, weil in ihrem Bezirk nur wenige Dörfer, deren Aermlichkeit und Abgeschiedenheit von dem fortschreitenden Culturleben meistens schon von  Weitem nach allen Richtungen hin erkennbar ist, außerdem einzeln gelegene Pustkovien in weiten Zwischenräumen zu finden sind, aber keine Stadt hat aufblühen können.

     Die Bewohner der Tucheler Heide sind zum größten Theil die Borowiaken.

     Früher war diese Haide als eine Gegend verschrie’n, in welcher nur Räuberbanden, Bären, Wölfe und andere Thiere der Wildniß hausten, und die nach langem Umherirren gefundenen Krüge und Schenken wurden als Mörderhöhlen und als Neste der Räuber bezeichnet. Auch heute traut man auswärts der Tucheler Haide noch nicht ganz in Betreff persönlicher Sicherheit. – Es ist aber nicht so gefährlich! Selbst der ängstlichste Reisende wird die Tucheler Haide mit eben soviel Sicherheit passiren können, wie ganz Europa, selbst wenn er sein Reiseziel nicht nach dem fernen Süden und Osten richtet.

     Wir, die wir jetzt leben, Alt und Jung, haben nichts von Räuberbanden und Bären gehört; höchstens haben sich in der Tucheler Haide dann und wann einige Wölfe verlaufen, die aus Rußland kommen, und wir können nicht wissen, ob sie nicht ihren Weg über den Rhein genommen haben, den sie, wie glaubhaft mitgetheilt, überschreiten, wenn es mörderlich friert.

 


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