Die kaschubischen Stammesnamen


Originaltext eines Aufsatzes von

Dr. Friedrich Lorentz,

... veröffentlicht 1908 in den 'Mitteilungen des Vereins für Kaschubische Volkskunde'

- Herausgeber: Dr. F. Lorentz und I. Gulgowski -

(Hier abgedruckt als Nebenprodukt meiner privaten Heimat- u. Familienforschung)

 

In den Schriften über die Kaschubei, besonders in den verschiedenen Wörterbüchern, werden zahlreiche kaschubische Stammesnamen genannt, von denen mir jedoch im Volksmunde bisher nur sehr wenige begegnet sind. Die meisten dieser Stammesnamen sind, soweit man ihr Vorkommen zurück verfolgen kann, zuerst von Cejnowa in seinem SkÔrb erwähnt, und da dieser vor nunmehr 40 Jahren erschienen ist, ist es nicht unmöglich, daß sie in der Zwischenzeit untergegangen sind. Andererseits ist es auch nicht ausgeschlossen, daß noch andere bisher unbekannte Stammesnamen existieren, ich bitte deshalb alle Vereinsmitglieder, ihre Aufmerksamkeit auf solche Stammesnamen zu richten und mir die ihnen bekannt werdenden, mögen sie in der folgenden Aufzählung genannt sein oder nicht, mitzuteilen.

Bisher sind folgende Stammesnamen bekannt:

1. Bǝlwcǝ in den Kirchspielen Mechau und Starsin, auf der Schwarzauer, Putziger und Oxhöfter Kämpe. Der Name bezeichnet den, der anstatt des ł das gewöhnliche l spricht und ist auf Grund des Prt. bǝla bǝlo gebildet. Die Angabe Cejnowas und Ramułts, daß sie auch die Putziger Kämpe bewohnen, ist unrichtig: hier gehören nur die Stadt Putzig und das Dorf Polzin den Bǝlwcǝ, in den übrigen Ortschaften spricht man das ł wie ų aus, wie G. Bronisch, Archiv f. slav. Phil. XVIII, 327 zuerst richtig gestellt hat. Der Ausdruck Bǝlwcǝ (ausgesprochen meist Bélcǝ) ist noch heute ganz verbreitet, von ihm wird ein fem. Bəlwczka, ein Adjektiv bǝláï, sogar ein Verbum bǝláczǝc „nach der Weise der Bǝlwcǝ sprechen“ gebildet. - Sprachlich gehören zu den Bǝlwcǝ auch die Bewohner der Halbinsel Hela, diese nennen sich aber Rǝbwcǝ s.u.

2. Boroύwcǝ werden die Bewohner der Tucheler Heide genannt. Diese sprechen aber heute einen polnischen Dialekt, und wenn auch gewisse Anzeichen darauf hinweisen, daß sie als polonisierte Kaschuben anzusehen sind, darf man sie doch nicht, wie Cejnowa und Ramułt es tun, zu den Kaschuben rechnen. Ob der Name im kaschubischen Volk bekannt ist, habe ich bisher nicht feststellen können, da Ramułt aber außer Boroύwk das Deminutiv Boroύwczk, das Feminin Boroύwczka und das Adjektiv boroύackï anführt, sollte man es annehmen.

3. Britzack, Britzock, Bridezack sollen nach O. Knoop, Plattdeutsches aus Hinterpommern S. 6, Rogasener Progr. 1890, im Lauenburgischen die Kaschuben von Speck, Babidoll, Giesebitz, Zezenow genannt sein. Knoop leitet den Ausdruck von brat „Bruder“ ab, es müßte dann ein kasch. *bracwk zu Grunde liegen, doch ist dies Wort bisher nicht festgestellt.

4. Drobocǝszǝ oder Drobolwcǝ werden nach Cejnowa, SkÔrb S. 159 die Bewohner des Zarnowitzer Kirchspiels genannt, weil sie in ihrer Sprache drobocǫ oder drobolǫ, d. i. trippeln, mit kleinen schnellen Schritten gehen, schnell und etwas abgebrochen sprechen. Es ist dies augenscheinlich ein Spottname, mir ist er unbekannt.

5. Fejn-Kaszǝbi nennen sich die nördlichen Kaschuben im Gegensatz zu den südlichen Grob-Kaszǝbi, die nicht so rein kaschubisch sprechen. Die beiden Ausdrücke sind bei den Kaschuben bekannt, ich habe sie aber nur in gebildeteren Schichten gefunden und hier schienen sie mir überall auf Cejnowa zurückzugehen. Sind sie auch im wirklichen Volke bekannt und wo ist die Grenze zwischen den Fejn-Kaszǝbi und den Grob-Kaszǝbi? Nach Cejnowa, SkÔrb S. 159 sollen letztere in den Kirchspielen Strepsch und Sianowo wohnen.

6. Fǝterwcǝ wohnen nach Cejnowa, SkÔrb. S. 89 im Stargarder Kreise, hier spricht man aber einen polnischen Dialekt, sie gehören also nicht zu den Kaschuben, wenn sie auch vielleicht als polonisierte Kaschuben anzusprechen sind. Der Name ist sonst noch nicht nachgewiesen.

7. Gorwle wohnen nach Cejnowa, SkÔrb S. 89 in den Kreisen Stuhm und Rosenberg, sind also Polen und werden von Cejnowa fälschlich zu den Kaschuben gerechnet.

8. Gwchǝ werden die Bewohner des Kirchspiels Borzyskowo im Kreise Schlochau genannt. Nach K. Nitsch, Materyały i prace III, 169 scheint es, als ob man in Borzyskowo diesen Namen als Spottnamen ansieht, da ihm dort angegeben wurde, daß die Gwchǝ weiter nach Norden wohnten. Mir wurde in Borzyskowo selbst gesagt: "Jw jem richtich Gwch" (ich bin ein richtiger Gwch), die Sprache nannte man po gwszkú und sie sprechen gwszǝc. Nach A. Berka, Słownik kaszubski porównawczy soll Gwch bezeichnen 1. einen Bewohner der mittleren Kaschubei, welcher häufig den Ausdruck „doch“ gebraucht, 2. einen Kaschuben, welcher sich bemüht, ein reines Polnisch zu sprechen, im letzteren Sinne führt er auch gwszǝc aus Menschikal, Kr. Konitz, an.

9. Holądrzańi und Ziłaύańi nennt Cejnowa, SkÔrb S. 89 in den Kreisen Danziger Niederung, Elbing, Marienburg und weiter an der Weichsel. So weit hier Slaven wohnen, sind dies Polen und keine Kaschuben. Ob die beiden Namen in der Kaschubei (und überhaupt) als Namen für Slaven gebraucht werden? Die Niederungen im Weichseldelta führen nach Pobłocki und Ramułt die Bezeichnungen Holądrǝ und Zułava (danach auch Zułaύańi statt Ceynowas Ziłaύańi), Berka hat für letzteres auch ziława, zejława, zława. Da hiermit aber nur die Örtlichkeiten bezeichnet werden, bezeichnen die zuerst genannten Ausdrücke auch wohl nur die Bewohner ohne Rücksicht auf die Nationalität.

10. Istker ist nach Propst Haken, Büschings Wöchentliche Nachrichten 1779, 14. Juni, S. 189 eine Bezeichnung der in Pommern am Ostseestrande wohnenden Kaschuben gewesen, welche ihnen wegen des häufigen Gebrauchs einer Partikel istka beigelegt wurde. Mir ist diese Partikel istka ebenso wie der Name Istker unbekannt.

11. Kabώtkoύe ist ein Spottname für die Kaschuben der Kirchspiele Glowitz und Zezenow im Kreise Stolp, weil sie früher lange kaftanähnliche Röcke, kabwt genannt, trugen. Cejnowa, Pobłocki und Ramułt scheinen hierin einen wirklichen Stammesnamen zu sehen, womit das Volk sich selbst bezeichnet, dies ist jedoch nicht der Fall, überhaupt ist der Name meines Wissens nur bei den Slovinzen vorhanden, welche übrigens auch das Adjektiv kabáckï und das Kollektiv Kabáctvo haben. Zu beachten ist, daß es ein gleichstämmiges Feminin zu Kabώtk nicht gibt, die kabatkische Frau heißt bei den Slovinzen Nána Nonne, weil es Gebrauch war, beim Abendmahl große weiße Tücher zu tragen. Danach werden die Bewohner jener beiden Kirchspiele von den germanisierten Slovinzen auch „Nankes“ genannt.

12. Karvwtk wird angegeben als Bezeichnung der kaschubischen Fischer in den Kreisen Lauenburg und Stolp, welche die karvwtka, einen langen kaftanähnlichen Rock tragen. Ramułt kennt auch ein dazu gehöriges Feminin Karvwtka. Ich habe bisher weder die Ausdrücke Karvwtk, Karvwtka noch karvwtka auffinden können.

13. Kaszǝbi in engerem Sinne sollen dach Cejnowa, SkÔrb S. 89 an der pommersch-preußischen Grenze von der Zarnowitzer Grenze bis Schlochau wohnen.

14. Ќidlańi (Cejnowa) oder Ќidlońi (Ramułt) werden als Bewohner des Berenter Kreises genannt, Ramułt kennt auch das Feminin Ќidlonka und das Adjektiv kidlonskї. Die mir sonst nicht bekannte Bezeichnung ist augenscheinlich Spottname, abgeleitet von dem von Pobłocki genannten kidlon, eine Art weiten Mantels, den die kabatkischen Frauen tragen sollen.

15. Koczeύwcǝ werden von Cejnowa, SkÔrb S. 89 als kaschubischer Stamm in den Kreisen Marienwerder und Graudenz genannt. Hier wohnen aber nur Polen. Augenscheinlich sind hiermit gemeint die Kociewiacy, ein polnischer Stamm, welcher im Südosten an die Kaschuben grenzt und sich längs der Weichsel bis Schwetz hinzieht und in welchem man wenigstens zum Teil polonisierte Kaschuben zu sehen hat.

16. Korzczwcǝ sollen nach Cejnowa im Berenter Kreise, nach Ramułt im südwestlichen Teil des Karthäuser und im westlichen Teil des Berenter Kreises wohnen, nach letzterem soll insbesondere der kaschubische Kleinadel dieser Gegenden die Bezeichnung führen. Danach wäre dies Wort identisch mit dem von Pobłocki angeführten korczwk als Spottname für einen armen Edelmann, welcher Holzpantoffeln (kasch. korka) trägt. Ramułt kennt außer Ќorzczwk auch das Adjektiv korzczackï.

17. Krajńwcǝ sind die Bewohner des Kreises Flatow, der Krajna. Cejnowa rechnet sie ganz zu den Kaschubem, Ramułt sagt: "Der pommersche Stamm der Krajner, heute ganz polonisiert, bewahrt in seinem Dialekt sehr viele Eigentümlichkeiten der pommerschen Sprache". Auch K. Nitsch, welcher Materiały i prace III, 181-201 diesen Dialekt zuerst beschrieb, hält es nicht für unmöglich, daß die Krajner ursprünglich Kaschuben waren, jedenfalls stehe dieser Dialekt unter allen polnischen dem Kaschubischen am nächsten. - Ramułt nennt außer Krajńwk das Feminin Krajńwczka, das Adjektiv krajńackï, den Landesnamen Krajnw und das dazu gehörige Adjektiv krajinskï. Sind diese Wörter wirklich in der kaschubischen Volkssprache bekannt?

18. Krokoύicǝ werden nach Cejnowa, SkÔrb S. 159 die Bewohner der Grafschaft Krockow im Kreise Putzig genannt. Daß in diesen jetzt ganz deutschen Ortschaften früher eine starke kaschubische Bevölkerung evangelischer Konfession gewesen ist, ist sicher, da in der Krockower Kirche kaschubischer Gottesdienst stattfand. Die Frage ist nur, ob nur diese oder alle Bewohner der Grafschaft Krockow Krokoύicǝ genannt wurden und ob diese Bezeichnung noch jetzt existiert. - Als nächste Verwandten dieser Krokoύicǝ nennt Cejnowa die Krekoύańi, welche im Lusiner und stellenweise auch im Schönwalder, Strepscher, Roslasiner und Lauenburger Kirchspiel wohnen und sich von den übrigen Kaschuben durch die diphthongische Aussprache des o unterscheiden, es sind dies also die Nordwestkaschuben. Daß aber diese Krekoύańi genannt werden, ist mir unbekannt.

19. Leswcǝ wohnen nach Cejnowa, SkÔrb S. 89 und nach Ramułt im Karthäuser Kreise, nach Cejnowa, SkÔrb S. 159 im Neustädter, Rahmeler, Köllner und Quaschiner Kirchspiel im Neustädter Kreise. Was ist richtig? Der Name bedeutet „Waldbewohner“, im ersteren Falle würde man an die ausgedehnten Waldungen der Oberförstereien Mirchau und Karthaus, im letzteren an die der Oberförstereien Gnewau und Kielau denken. Ich habe diese Stammesbezeichnung noch nicht gehört, ebensowenig wie Leswle, welches Ramułt als gleichbedeutend mit Leswcǝ anführt. Außerdem nennt er die Feminina Leswczka, Leswlka und die Adjektiva lesackï, lesalskï. - Auf der Putziger Kämpe werden die Bewohner des waldreichen Kirchspiels Mechau Leswcǝ genannt.

20. Łeczwcǝ wohnen nach Cejnowa und Ramułt im Berenter Kreise, nach letzterem im westlichen Teil desselben. Ramułt hat dazu das Adjektiv łǝczackï.

21. Ńińwcǝ sollen nach Cejnowa und Ramułt die Slovinzen und Kabatken genannt werden, weil sie gern die Worte ńińa brace“ (nun Bruder) gebrauchen. Letzteres ist mir bekannt, doch heißt es nicht ńïńa sondern ńa (vgl. russ.HЬIHЂ), danach müßte der Spottname auch ńwce lauten. Wo diese Bezeichnung gebraucht wird, ist mir unbekannt. Ramułt kennt dazu auch das Feminin Ńińwczka und das Adjektiv ńińackï.

22. Polańi nennt Cejnowa, SkÔrb S. 89 im Kreise Schwetz, hier wohnen aber Polen, also ist dies kein kaschubischer Stamm.

23. Rǝbwcǝ „Fischer“ nennen sich die Bewohner der Halbinsel Hela, da diese ausnahmslos das Fischergewerbe betreiben. Das Appellativ ist hier zum echten Stammesnamen geworden und sogar auf die Sprache übertragen, man spricht hier porǝbacku. Cejnowa, SkÔrb S. 159 dehnt die Bezeichnung noch weiter aus, er rechnet auch die Bewohner der übrigen Küstendörfer bis Karwen zu den Rǝbwcǝ. Über ihre Herkunft gibt er die sonderbare Ansicht daß sie ein Mischvolk von Kaschuben und Finländern seien.

24. Słoύince ist der Stammesname der Kaschuben in den Kirchspielen Schmolsin und Garde im Kreise Stolp. Der Name ist nur bei den Slovinzen selbst bekannt, das Feminin lautet Słoύinka, das Adjektiv słoύinskї.

 


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