Die „Goldene Wiege“ von Groß-Hansdorf

 

Nacherzählt von Helga Jetleb, Großhansdorf, im Heimatheft „Der Waldreiter“ Nr. 10/1950

 

 

 

 

Vor vielen Jahren, so erzählt man sich, lebte in Kiekut ein Bauer mit Namen Paape. Eines Tages kam ihm zu Ohren, daß es mit dem kleinen Rasen auf dem Platz vor der jetzigen Bahnüberführung über den Waldreiterweg und dem großen Stein darauf eine besondere Bewandnis habe: unter dem Findling sollte eine goldene Wiege ruhen. Der Schatz würde der Sage nach in der Geisterstunde einer Vollmondnacht unter der Bedingung gehoben werden können, daß bei der Hin- und Rückfahrt und auch während der Arbeit kein Sterbenswörtchen geredet würde.

 

Da beschloß Bauer Paape den Versuch zu wagen. Also spannte er eines Nachts seine Pferde vor den Wagen und machte sich mit dem Knecht auf den Weg. Der Mond warf sein Licht verschwenderisch auf die Straße. Schweigend fuhren die beiden Schatzsucher ihrem Ziele zu.

 

Bald war es erreicht. Mit einem ungeheuren Kräfteaufwand brachten die Männer den Stein zur Seite. Dann ging es ans Graben. Im gleichen Takt und schweißstriefend schaufelten sie den Sand aus der immer tiefer werdenden Grube. Plötzlich stießen sie auf etwas Hartes. Und wirklich! Vor ihnen stand die goldene Wiege. Der Knecht wollte gerade in Bewunderung ausbrechen, da stieß ihn der Bauer noch eben rechtzeitig in die Seite, was soviel heißen sollte wie: „Paß auf, du Dussel, und halt den Schnabel, sonst ist es aus mit der Herrlichkeit!“ Jetzt aber mußten sie darangehen, die schwere Wiege erst einmal aus der Grube zu bringen und dann auf den Wagen zu laden. Aber auch das ward geschafft, und nachdem sie den Platz wieder in seinen alten Zustand versetzt hatten, fuhren sie wieder nach Hause.

 

Immer noch schweigend zogen sie ihres Weges. Der Knecht lenkte die Pferde. Aber er ließ die Zügel schlaff hängen, denn er war inzwischen müde geworden und war eingenickt. Da geschah das Unglück. Der Wagen stieß mit einem Rad an die Pfosten des Tores, durch das sie eben auf den Hof fuhren. Die plötzliche Erschütterung weckte den Bauern, der ebenfalls eingeschlafen war. Ärgerlich stieß er einen Fluch aus, - und im selben Augenblick war die Wiege verschwunden! Er hatte das Gebot der Schweigsamkeit im letzten Augenblick übertreten und war dadurch um den Lohn seiner nächtlichen Schatzsuche geprellt worden.

 

Bauer Paape soll später noch einmal versucht haben, die Wiege in seine Gewalt zu bekommen. Aber sie ist und bleibt seitdem verschwunden und ist nicht wieder aufzufinden.

 

 

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Dazu berichtet Christian Meynerts im gleichen Heft, daß das Straßendreieck, auf dem der seltsame Findling mit den Einsprengungen härteren Gesteins heute steht, weder sein Fundort noch der „wahre“ Platz der goldenen Wiege sei. Der Stein ist bei der Errichtung des Ehrenmals für die Gefallenen des ersten Weltkrieges (weiter aufwärts am Waldreiterweg) gefunden worden. Und die goldene Wiege soll unter einer deutlich erkennbaren Vertiefung in dem Zipfel der Rauhen Berge etwa gegenüber dem heutigen Standort des Steines liegen. Die Großhansdorfer Alten erinnern sich daran, daß diese Vertiefung ein „Söl“ gewesen ist, ein meist mit Wasser gefülltes Sumpfloch, in dem sich auf einer Schicht hineingewehten Laubes, allerlei interessante Sumpfpflanzen angesiedelt hatten. Doch seien die Kinder oft davor gewarnt worden, diesen „Söl“ zu betreten, und dabei habe man ihnen die Geschichte von der goldenen Wiege erzählt. Vor mehr als 100 Jahren ist dieses Sumpfloch von dem damaligen Förster Rodde trockengelegt und mit Fichten bepflanzt worden.

 

 

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